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MOMMSEN,T., Römisches Strafrecht. Hrsg. von Karl Binding. Berlin 2013.

Umschlag

MOMMSEN, Theodor,

Römisches Strafrecht. Hrsg. von Karl Binding. Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft. Erste Abteilung, vierter Teil. Hrsg. von Karl Binding. 1. Aufl. Berlin, Duncker & Humblot, 2013.

16 x 23 cm. XXIV, 1078 S. XXIV, 1078 S. (Duncker & Humblot reprints). ISBN 9783428161348.

»Historiker, * 30.11.1817 Garding bei Eiderstedt (Schleswig-Holstein), † 1.11.1903 Berlin-Charlottenburg.

Bis zum 17. Lebensjahr wurde M. zusammen mit seinen beiden jüngeren Brüdern vom Vater unterrichtet. Obwohl dieser Pfarrer war, zeigte M. ein durchgehend distanziertes Verhältnis zum Christentum und zum ›Wunderland Religion‹ überhaupt. 1834–38 besuchte er das Christianeum in Altona, 1838–43 studierte er an der Univ. Kiel, damals zu Dänemark gehörig, Rechtswissenschaft. Nach seiner Promotion über röm. Recht ging er mit einem dän. Stipendium nach Frankreich und Italien, wo er sich unter dem Einfluß von Bartolommeo Borghesi den Inschriften des Kgr. Neapel widmete. Während der Revolution 1848 wandte sich M. als Journalist gegen die dän. Ansprüche auf Schleswig-Holstein. Im gleichen Jahr erhielt er eine rechtswissenschaftliche Professur in Leipzig, die er 1851 verlor, als er mit Moriz Haupt und Otto Jahn gegen den sächs. Verfassungs-Oktroi protestierte. M. fand 1852 Aufnahme in Zürich, ging 1854 nach Breslau und kam auf Intervention Alexander v. Humboldts 1858 an die Berliner Akademie, deren korrespondierendes Mitglied er 1853 geworden war. 1874 wurde er Sekretär der Historisch-Philologischen Sektion und legte den Posten erst 1895 während des Antisemitismus-Streits mit Treitschke nieder. 1861–87 hielt M. – nie habilitiert – regelmäßig Vorlesungen (vier Wochenstunden) und Seminare (zwei Wochenstunden) an der Berliner Universität. Die Themen entstammten überwiegend seinem wichtigsten Forschungsgebiet, der röm. Kaisergeschichte. Zu seinen Schülern gehören O. Hirschfeld, H. Dessau, A. v. Domaszewski, O. Seeck, L. M. Hartmann und U. Wilcken. 1874/75 bekleidete M. das Rektorenamt.

Als M. nach Berlin berufen wurde, hatte er schon 262 Publikationen vorgelegt, darunter seine Römische Geschichte (I–III, 1854–56), verfaßt auf Drängen der Verleger Hirzel und Reimer. Das Werk wurde schnell populär, trotz der Kritik durch D. F. Strauß, Bachofen und Gregorovius, und ist bis heute eines der meistgelesenen und meistübersetzten Geschichtswerke deutscher Sprache. Die ersten drei Bände behandeln die Röm. Republik unter dem Gesichtspunkt einer ›nationalen Einigung‹ Italiens und einer allmählichen Demokratisierung der res publica. Die Römer waren nach M. ›ein freies Volk, das zu gehorchen verstand, in klarer Absagung von allem mystischen Priesterschwindel, in unbedingter Gleichheit vor dem Gesetz und unter sich, in scharfer Ausprägung der eigenen Nationalität.‹ Mit dem Ausgreifen über Italien hinaus und der Proletarisierung, zumal der Landbevölkerung, schien für M. ein Zustand erreicht, dessen innere Probleme nur noch durch die Genialität Caesars zu lösen waren. Dieser war für M. wie für Hegel und Burckhardt der ›größte der Sterblichen.‹ Offen oder verdeckt zog er immer wieder Parallelen zu seiner eigenen Zeit, daher firmieren die Senatoren als ›Junkerklasse‹, die equites als ›Kapitalisten‹. Diese ›Modernisierungen‹ wurden ihm sowohl von Marx als auch von Nietzsche verübelt. Dennoch versuchte M., nicht grundsätzlich anders als diese Autoren, Geschichte zu aktualisieren und in den Dienst einer politischen Pädagogik zu stellen. Dies wollte er auch durch scharfe Wertungen und prägnante Charakteristiken der handelnden Persönlichkeiten erreichen. Der dritte Band endet mit der Vollendung der Monarchie durch Caesars Sieg über die Republikaner (›Legitimisten‹) bei Thapsus 46 v. Chr. Nach langer Pause publizierte M. 1885 eine ›sine ira et studio‹ geschriebene Geschichte der röm. Provinzen in der Kaiserzeit unter dem Serientitel ›Römische Geschichte, Band V‹. 1902 erhielt er für sein großes Werk aufgrund einer Eingabe berühmter Kollegen der Akademie den Nobelpreis für Literatur. Den vierten Band über die Röm. Kaisergeschichte hat M. nie geschrieben; über die Gründe ist schon unter den Zeitgenossen viel gerätselt worden. Einen gewissen Ersatz bieten die 1980 aufgefundenen Vorlesungsnachschriften der M.schen Kaisergeschichte von Sebastian und Paul Hensel. Sie schildern Innen- und Außenpolitik, Hofleben und Verwaltung in Italien und den Provinzen in der Zeit von Caesar bis Alarich und liefern somit ein Gesamtbild der Kaiserzeit, in das sich die entsprechenden ›Reden und Aufsätze‹ (1905), literarische Kabinettstücke, einfügen. 1871–88 veröffentlichte M. sein dreibändiges ›Römisches Staatsrecht‹, bis heute unentbehrlich wie sein ›Römisches Strafrecht‹ (1899). Dazu kommen seine Monographien über Chronologie und Numismatik, seine ›Römischen Forschungen‹ (2 Bde.) und seine postum edierten ›Gesammelten Schriften‹ (8 Bde.). Die Gesamtzahl der publizierten Arbeiten beträgt fast 1600.

M.s Hauptarbeit an der Akademie galt dem ›Corpus Inscriptionum Latinarum‹, dem – gemäß Adolf v. Harnack – aufwendigsten Projekt der Akademie. Es kostete bis 1900 über 400 000 Goldmark. Bei seinem Tode waren 15 der 16 geplanten Teile erschienen. Fünf von ihnen hatte M. selber vorgelegt, für die anderen die Mitarbeiter ausgesucht und ihnen Unterstützung gewährt. Er bestand darauf, daß jede erhaltene Inschrift am Original verglichen wurde, bevor sie in den Druck ging. 1854 schrieb er an seinen Jugendfreund Theodor Storm: ›Diese Inschriftenwelt mit all ihrer Plattitüde und Tenuität steht dem wirklichen Leben doch sehr nah.‹ Daneben war M. beteiligt an der Gründung der Zeitschriften ›Hermes‹ und ›Ephemeris Epigraphica‹ sowie an der Organisation des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom. 1871 entwarf er die neue Satzung, die 1874 aus dem preuß. ein deutsches Institut machte. Eine zweite Sorge galt der Römisch-Germanischen Kommission und der provinzialröm. Archäologie, namentlich der von Wilhelm II. persönlich geförderten, seit 1890 in Gang kommenden Reichs-Limes-Forschung. Ebenso beteiligte sich M. am ›Vocabularium Iurisprudentiae Romanae‹, am ›Thesaurus Linguae Latinae‹, am ›Corpus Nummorum‹ und an den Editionen der Kirchenväter-Kommission. M.s große editorische Arbeiten standen im Zusammenhang mit den ›Monumenta Germaniae Historica‹, für die er mehrere Bände der ›Auctores Antiquissimi‹ und den ersten Teil der ›Gesta Pontificum‹ redigierte. Auf ausgedehnten Reisen durch die europ. Bibliotheken kollationierte er alle Manuskripte selbst. Für die von ihm herausgegebenen Corpora des Römischen Rechts ›Corpus Iuris Civilis‹ und ›Codex Theodosianus‹ griff er auf Vorarbeiten anderer zurück, die dabei ungebührlich in den Hintergrund rückten. Alle diese Editionen sind bis heute Standardwerke der Forschung.

In seinem Testament von 1899 bezeichnete sich M. in Anknüpfung an Aristoteles (pol. 1253 a) als ›animal politicum‹. Nach den Aktivitäten in Rendsburg 1848 und Leipzig 1850 ließ er sich 1863–66 als Mitglied der Fortschrittspartei ins preuß. Abgeordnetenhaus wählen. Im deutsch-franz. Krieg trat er publizistisch nur halbherzig hervor. Er fürchtete um die wissenschaftliche Zusammenarbeit und plädierte später (1900) für eine Abschaffung der Sedan-Feiern. 1873–79 saß er wiederum im preuß. Abgeordnetenhaus, 1881–84 im Reichstag. M. kämpfte vor allem für die finanzielle Ausstattung der Bibliotheken und Universitäten und verfocht im übrigen eine liberale und nationale Politik. Bismarcks Föderalismus hielt er für eine halbe Sache, brüchiges Flickwerk. 1879/80 stellte er sich in der ›Judenfrage‹ gegen Treitschke, der ebenso wie der mit beiden befreundete Herman Grimm (und wie zuvor Ranke und Burckhardt) einen wachsenden Einfluß der Juden fürchtete. Treitschke hatte gefordert, die Juden sollten Deutsche werden, M. meinte, sie seien es. 1901 stemmte er sich im ›Fall Spahn‹ öffentlich gegen konfessionelle Gesichtspunkte bei Berufungen auf Lehrstühle; das preuß. Kultusministerium hatte bei der Besetzung einer historischen Professur in Straßburg mit Rücksicht auf die Elsässer einen Kandidaten wegen seines kath. Bekenntnisses bevorzugt. Aus Mißmut über die bürgerliche Politik begann M., mit den Sozialisten zu sympathisieren, was bisweilen als schockierend empfunden wurde. 1881 strengte Bismarck eine Beleidigungsklage gegen M. an, dessen Protest gegen die ›Politik des Schwindels‹ und den ›größten der Opportunisten‹ offenbar auf den Kanzler gemünzt war. M. bestritt dies und wurde freigesprochen. In seiner erst 1948 bekanntgewordenen Testamentsklausel beklagte er sein Unvermögen als Historiker und bescheinigte seinen deutschen Landsleuten, daß sie aus dem Dilemma zwischen ›politischem Fetischismus‹ und ›Dienst im Gliede‹ nicht herauskämen.

Optimistisch blieb M. im Hinblick auf die Fortschritte der Forschung. Ebenso glaubte er, daß sich Humanität und Zivilisation langfristig durchsetzten. In seiner Römischen Geschichte bezeichnete er als das wahrscheinliche Ziel der modernen politischen Entwicklung ein friedlich-freundliches Nebeneinander der Staaten. Noch im Jahre vor seinem Tod hatte er die Vision einer ›heiligen Allianz der Völker‹, die alle Fehler vermiede, die er dem Imperium Romanum anlastete: Wohlstand vor Freiheit, Egoismus vor Patriotismus, Lebensgenuß vor Geistesarbeit. Zur Kenntnis von M.s Persönlichkeit sind die Reisetagebücher aus Italien von 1844/45 nützlich, ebenso der Briefwechsel mit seinem Schwiegersohn Ulrich v. Wilamowitz-Moellendorff, mit Otto Jahn sowie mit Theodor Storm, mit dem er 1843 eine Gedichtsammlung herausgegeben hatte.

Für die Geschichte der deutschen Altertumswissenschaft ist M. aus drei Gründen bedeutsam: Zum ersten hat er den traditionellen, auf Winckelmann, Goethe und Wilhelm v. Humboldt fußenden Philhellenismus der deutsch-griech. Seelenverwandtschaft erweitert um ein Verständnis für Rom. Für nahezu alle Bereiche der röm. Geschichte verdanken wir ihm grundlegende Schriften. Zum anderen veranschaulicht M. in seinem Werk den Übergang von der ästhetisch-literarischen Geschichtsschreibung des 18. und 19. Jh. zu einer streng analytisch-positivistischen Quellenforschung – eine Entwicklung, die er selbst bedauerte (›Die besten von uns empfinden es, daß wir Fachmänner geworden sind.‹). Zum dritten hat M. historische Forschung zum ersten Mal mit Hilfe der Berliner Akademie in großem Stil organisiert.«

Demandt, Alexander, in: Neue Deutsche Biographie 18 (1997), S. 25–27

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