NORDAU,M., Paris. Berlin 2013.

Umschlag

NORDAU, Max,

Paris. Studien und Bilder aus dem wahren Milliardenlande. Erster Band. 2., verm. Aufl. Berlin, Duncker & Humblot, 2013.

16 x 23 cm. VIII, 322 S. VIII, 322 S. (Duncker & Humblot reprints). ISBN 9783428167180.

»Kulturhistoriker, Zionist, * 29.7.1849 Budapest, † 22.1.1923 Paris, begraben 1926 Tel Aviv. (israelitisch)

N. erhielt eine profunde jüd. Erziehung, entwickelte sich aber seit seinem 18. Lebensjahr zum überzeugten Naturalisten. 1875 promovierte er zum Dr. med. und ließ sich 1880 in Paris als Arzt nieder. Schon während des Studiums war er als Journalist tätig, u.a. beim ›Pester Lloyd‹ und der ›Neuen Freien Presse‹. Seine sozialkritischen Werke erregten Aufsehen: ›Die Conventionellen Lügen der Kulturmenschheit‹ (1883, 1885), in 15 Sprachen übersetzt und in Österreich und Rußland auf den Index gesetzt, prangerten ›die religiöse Lüge‹, die Korruption der Monarchie und Aristokratie und die gesellschaftliche Doppelmoral in wirtschaftlichen und sexuellen Fragen an. Seine Antwort war die ›Philosophie einer menschlichen Solidarität‹. Sein 1892/93 erschienenes zweibändiges Werk ›Entartung‹ provozierte wegen seiner kompromißlosen Abrechnung mit der Moderne, auf welche er Terminologie und Verfahrensweisen der Psychopathologie übertrug, zahlreiche kontroverse Meinungen. Er wandte den Begriff ›Entartung‹ wie auch die Phänomene Symbolismus, Spiritualismus, Egomanie u.a. auf Werke von Schriftstellern und bildenden Künstlern an (Nietzsche, Tolstoi, Wagner, Zola, Ibsen u.a.) und prophezeite der Menschheit eine drohende Katastrophe. In ›Der Sinn der Geschichte‹ (1910) zeigte er die Entwicklung des Menschen von einer parasitären Einstellung, die aus einem metaphysischen Weltbild resultiert, zu Erkenntnis und menschlicher Solidarität auf. Sinn und Ziel der Geschichte liegen nach N. in einer Verringerung des menschlichen Leidens und im Streben nach dem ›Ideal der Güte und selbstlosen Liebe‹. Alle seine gesellschaftskritischen Werke behandeln auch das Problem der jüd. Existenz und des Antisemitismus; trotz seines Bruchs mit der Orthodoxie blieb er dem Judentum engagiert verbunden.

Theodor Herzl (1860–1904) lernte N. als Journalistenkollegen in Paris kennen und setzte ihm bereits 1895 seine Idee eines Judenstaates auseinander; N. faßte diesen als Realisierung seiner Utopie der ›Solidarität‹ unter Juden in einem eigenen Staat auf. Vom 1. bis zum 6. Zionistenkongreß (1897–1903) fungierte er als Vizepräsident, vom 7. bis zum 10. (1905–11) nach Herzls Tod schließlich als Präsident. In seinen dort gehaltenen berühmten Reden beschrieb er eindringlich die physische und materielle Unterdrückung der jüd. ›Luftmenschen‹ in Osteuropa und die geistige Isolation der von ihren jüd. Wurzeln abgeschnittenen assimilierten westeurop. Juden; daraus resultierte für ihn die Schaffung des sog. ›Muskeljudentums‹. Auf dem Kongreß von 1911 warnte er vor der möglichen drohenden Vernichtung der 6 Mio. Juden in Rußland und Osteuropa. Die einzige Rettung sei der politische Zionismus, den er heftig gegen die kulturzionistischen Programme Achad Haams (Ps. f. Ascher Ginsberg, 1856–1927) u.a. verteidigte.

N. unterstützte Herzls Uganda-Plan, den er als vorübergehendes ›Nachtasyl‹ bezeichnete, nur aus Solidarität. Dies hätte ihm jedoch beinahe das Leben gekostet, denn der fanatische Anti-Ugandist Chaim Selig Luban hielt fälschlich ihn für den Urheber und verübte in Paris ein Attentat auf ihn; N. überlebte jedoch unverletzt. Nach Herzls Tod wies N. die ihm von diesem schon früher angetragene Nachfolge zurück, nicht zuletzt aufgrund seiner Opposition gegen die Kulturzionisten und vor allem gegen die praktischen Zionisten unter Chaim Weizmann (1874–1952). N. hielt politische Aktionen für effektiver als langsame Infiltration und die landwirtschaftliche Kolonisation Palästinas.

Als 1919 eine Pogromwelle die ukrain. Juden bedrohte, forderte N. in seiner berühmten Rede in der Albert Hall 1920 die Erfüllung der Balfour-Deklaration von 1917 durch die rasche Einwanderung von 600 000 russ. Juden und die Etablierung einer unabhängigen jüd. Mehrheit in Palästina. Diesen Plan lehnte die zionist. Führung als unrealistisch ab; 1921 zog sich N. von der offiziellen Arbeit zurück und wirkte führend in der zionist. Opposition. In den späten 30er Jahren nannte Vladimir Jabotinsky (1880–1940) das Programm der raschen Bildung einer jüd. Majorität in Palästina ›Max Nordau Plan‹ . Dr. iur. h. c. (Athen)«

Keil, Martha, in: Neue Deutsche Biographie 19 (1998), S. 339 f.

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